Matthias Moosdorf: Die Sache mit der Wahrheit

Matthias Moosdorf: Die Sache mit der Wahrheit

Matthias Moosdorf: Die Sache mit der Wahrheit

 

Von Matthias Moosdorf

Wir sind nach ihr auf der Suche, immer und überall. Wer möchte nicht ein Leben in Wahrhaftigkeit führen? Aber bei Licht besehen ist sie wie der Horizont: wenn man sich auf sie zu bewegt, gleitet sie davon.

Es gibt allerdings Fälle, da liegt sie geradezu auf der Hand. Nehmen wir Chemnitz und den gespielt-empörten Aufschrei der ertappten Beschwichtiger. Sie wollten bei Trockenheit eigentlich nur im Wald grillen. Mit dem entstandenen Waldbrand wollen sie nichts zu tun haben. Die Chemnitzer Freie Presse konstatiert „beinahe jeden Tag einen sexuellen Übergriff“, andere Quellen sprechen von 60 Vergewaltigungen seit Januar 2018, da werden Menschen ermordet, nicht im Streit auf Augenhöhe, sondern hinterhältig und mit vielen Messerstichen. Aber statt diese Vorfälle als alarmierenden Umkehrpunkt zur Kenntnis zu nehmen, werden die Reaktionen darauf, ohnmächtige Spontan-Demos zur „Gefahr für Ordnung und Sicherheit“ hochgeschrieben. Dabei sagt es selbst der Chefredakteur der oben zitierten Zeitung: „Hetzjagden hat es nicht gegeben“.

Also brauchte man dringend einen Schuldigen für das zunehmend vergiftete Klima im Land, als müsse man jetzt schon den Absturz der Alt-Parteien bei den kommenden Wahlen den Bürgern in die Schuhe schieben, dem Rechtsruck, den Nazis, Hauptsache nicht in den Spiegel der eigenen, falschen politischen Entscheidungen sehen, wird die Drehzahl der absurden Verdrehungen erhöht. Doch auf der Suche nach der Wahrheit dieser Hysterie kommt nun – ganz unerwartet aber doch irgendwie folgerichtig – der große Sigmund Freud zu Hilfe. In Form einer Fehlleistung nämlich, einem herausgerutschten Begriff. Dieser ist kein Alltagsbegriff, liegt also nicht im Frontallappen auf Abruf. Es ist ein tief liegender Gedankengang, voller Offenbarung darüber, was hier eigentlich gespielt wird. Der Ministerpräsident von Sachsen hat ihn sinnierend verwendet, als er sagte, Chemnitz sei ein Angriff auf unser „Wahrheitssystem“.

Haben Sie das Wort schon einmal gehört? Der Duden gibt dazu folgende Auskunft: „Vom Bolschewismus entwickelte Systematik, um eine Gesellschaft ausschließlich nach selbstdefinieren Wahrheiten zu steuern / zu beherrschen.“ Nun, damit wird doch so einiges klar. Damit lässt Michael Kretschmer seine Maske des pickligen Biedermannes fallen – oder ist das schon sein Gesicht? Auf jeden Fall bedient sich die CDU, ganz im Sinne des Merkelschen Links-Rucks, frei aus dem meinungsfaschistischen Werkzeugkasten der roten Barbaren, den Erfindern der Konzentrationslager.

In der ganzen Debatte wurde „Wahrheit“ noch nie so gegenständlich. Die CDU in Sachsen hat mit dieser Verkürzung endgültig abgewirtschaftet. Man kann sich nur angeekelt abwenden und daran arbeiten, das Wahrheitssystem des Herrn K. auf den Friedhof der Ideologien zu schicken.

Danke für die Offenheit, Sie haben uns sehr geholfen!

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