Auszug aus dem Gesprächsbuch »Nie zweimal in denselben Fluss«
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Das klingt nach dem berüchtigten »Wutbürger«, wie er in den Medien gerne verhöhnt wird.
Gerade die etablierten Medien haben einen großen Anteil daran, daß immer mehr Bürger unser politisches System als »Fassadendemokratie« empfinden. Allein daß die kritische Anteilnahme von Bürgern am politischen Geschehen öffentlich lächerlich gemacht wird, von der moralischen Diskreditierung durch hohe politische Amtsträger ganz zu schweigen, zeigt deutlich, wie weit unser Gemeinwesen heruntergekommen ist. Trotzdem wird Heranwachsenden in der Schule das Vorbild des »mündigen Bürgers« eingetrichtert, der sich in die Politik einmischen solle.
Sich einmischen könnte der Bürger ja nach der offiziellen Meinung am besten über Wahlen.
Wählen ist sicher eine wichtige, aber nicht die einzige Möglichkeit legaler politischer Mitwirkung. Es gab ja vor der Gründung der AfD bereits einige bürgerliche Protestbewegungen, die immer mehr Zulauf erhielten. Es fehlte aber an einer starken parlamentarischen Vertretung dieser Kräfte. Nach den Wahlerfolgen der AfD kreierte das entsetzte Establishment dann eine neue Schmähfigur: den sogenannten »Falschwähler«. Er steht für die unausgesprochene Botschaft an die Bürger: »Wählen dürft ihr schon, aber natürlich nicht, wen ihr wollt!« Diese subtile psychologische Manipulation vor dem Gang in die Wahlkabine wird immer mehr Bürgern bewußt, wie ich in zahlreichen persönlichen Gesprächen erfahren habe. Der Wahlzettel wird so zum Fragebogen, der »gefährliche« Stellen enthält, wie das Ernst Jünger im Waldgang ausgedrückt hat. In einer Demokratie dürfte es meiner Meinung nach solche bedrückenden Gefühlslagen nicht geben. Das hochmütige Abkanzeln und die niederträchtige Bestialisierung der Unterstützer von AfD und Pegida haben die Scheinheiligkeit dieses Umgangs offengelegt. Beinahe jedem, der sich da unversehens hineingezogen sieht, wird ein Bekenntnis für oder wider abverlangt. Das hat schon inquisitorische Züge angenommen.
Bei den heutigen Machtverhältnissen dürfte sich an diesem Ritus vorläufig wenig ändern.
Ja, aber vergessen wir auch nicht: Die personell stärkste Partei des Kaiserreichs war die SPD. Ihr Vorsitzender August Bebel hatte binnen weniger Jahre seinen Sitz sowohl als Staatsfeind in einer Gefängniszelle wie auch als Mandatsträger im Reichstag! Solche dramatischen Korrekturen ereigneten sich wohlgemerkt innerhalb einer Gesellschaft, deren angebliche Obrigkeitshörigkeit immer wieder gern als schwarze Folie unterlegt wird, um die Höherwertigkeit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung darauf hervorstechen zu lassen. Um wieviel natürlicher sollte sich in unseren heutigen Verhältnissen der Übergang von einem dämonisierten Außenseiter zum Teilnehmer an der demokratischen Normalität vollziehen. Wir dürfen uns auf eine eindrucksvolle Bewährung der gewählten Abgeordneten meiner Partei in den Parlamenten der ganzen Republik gefaßt machen.
Sie sind also davon überzeugt, daß diese Entwicklung zu einer starken patriotischen Kraft ebenso unaufhaltsam ist, wie es jene der fortschrittlichen Kräfte im Kaiserreich war?
Ja, das Ignorieren, Ausgrenzen und Niederhalten wird, heute wie damals, kein Verschwinden des Wunsches nach politischem Wandel bewirken. In diesem Zusammenhang kann an eine triviale, altbekannte und nie wiederlegte Einsicht erinnert werden, die da lautet: Wenn die Probleme den Menschen unter den Nägeln brennen, aber diese Probleme von den etablierten Parteien nicht in politisches Handeln überführt werden, dann verändert sich nicht der Wählerwille. Der Wählerwille bleibt derselbe. Aber die Parteienlandschaft wird verändert. Und da sind wir mittendrin.
Gibt es denn überhaupt einen solchen Reformwunsch in breiten Kreisen der Bevölkerung?
Ich glaube schon, auch wenn es in unserem Land trotz AfD und Pegida noch auffallend ruhig ist. Es gärt und brodelt im Untergrund – die geballte Faust bleibt meist noch in der Hostentasche. Der zeitkritische Kolumnist Hans Heckel wies darauf hin, daß von etablierter Seite alle Ventile zur Druckentlastung fest verstopft worden sind. Das erkläre die merkwürdige Stille in Zeiten, in denen doch eigentlich Unruhe die erste Bürgerpflicht wäre. Diese Tatsache allerdings als einen Sieg über die »Populisten« zu verbuchen, könnte sich für die politisch-mediale Klasse als »größter Irrtum der deutschen Geschichte seit dem Ende der DDR« herausstellen. Eine Prognose, die uns zuversichtlich stimmt. Die Entladung des aufgestauten Drucks wird irgendwann kommen, die geballten Fäuste werden dann in die Luft gerissen und das Volk, der große Lümmel, an den Festungstoren der Machthaber rütteln. [...]
? Auszug aus: Sebastian Hennig: Nie zweimal in denselben Fluss. Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Hennig (Seiten 109 bis 112). 306 Seiten Klappenbroschur, Fadenheftung; ISBN: 978-3-944872-72-8; Erscheint am 21. Juni 2018 - jetzt vorbestellen! 18,90 € Inkl. 7% MwSt., versandkostenfrei
? Bestellung über den Verlag Manuscriptum Verlagsbuchhandlung Thomas Hoof KG
? Sebastian Hennig: 1972 in Leipzig geboren, Studium der Malerei und Grafik in Dresden, 1998 Diplom, seit 2003 zudem als Kulturpublizist tätig, u. a. für Islamische Zeitung, Neues Deutschland, Junge Freiheit, Dresdner Neueste Nachrichten, Deutschlandradio Kultur, Tumult und Cato, 2015 Buchveröffentlichung Pegida – Spaziergänge über den Horizont, letzte Publikationen: Unterwegs in Dunkeldeutschland (2017) und Kennst Du Theodor Fontane? (2018), lebt als freier Autor und bildender Künstler in Radebeul bei Dresden.
? Björn Höcke: 1972 geboren in Lünen, Studium der Sport- und Geschichtswissenschaften für das Lehramt an Gymnasien in Gießen und Marburg, Masterstudium im Bereich Schulmanagement, Oberstudienrat; an einer kooperativen Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe unterrichtete er Sport und Geschichte; 2013 Mitgründer der AfD in Thüringen und Sprecher des Landesverbandes, seit 2014 Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag; 2015 ist er Mitinitiator der „Erfurter Resolution“ und des „Flügels“, der innerhalb der Partei den „vollen Einsatz für eine grundsätzliche politische Wende in Deutschland“ befürwortet.