André F. Lichtschlag: Ambivalenzgefühle

André F. Lichtschlag: Ambivalenzgefühle

André F. Lichtschlag: Ambivalenzgefühle

Von André F. Lichtschlag

Wieder einmal hat Dresden mit einer Diskussion Geschichte geschrieben, bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr nach dem viel beachteten Podiumsgespräch zwischen den Schriftstellern Uwe Tellkamp und Durs Grünbein. Wieder wurde gezeigt, dass ausgerechnet im scheinbar tiefsten Dunkeldeutschland ein „offener, gesitteter Diskurs mit einem hierzulande einmaligen breiten Meinungsspektrum“ gepflegt wird, bemerkte mit einigem berechtigten Stolz der Mitveranstalter Maximilian Krah von der sächsischen AfD in seinem Schlusswort. Der zweite Gastgeber, Reinhard Günzel als Vorsitzender des Kreisverbandes Dresden der AfD, fügte schlau an, dass die beiden Vertreter von ARD und ZDF nun sicher mit einem ähnlichen Gefühl nach Hause gehen, wie es AfD-Politiker regelmäßig haben, wenn sie gerade eine Diskussionsrunde im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verlassen.

Zuvor hatten Kai Gniffke, Chefredakteur „ARD-aktuell“, und Peter Frey, Chefredakteur des ZDF, unter der Leitung der rechts- bis liberal-konservativen Publizisten Andreas Lombard und Klaus Kelle mit dem ehemaligen „Bild“-Journalisten und heutigen AfD-Politiker Nicolaus Fest sowie dem früheren „Focus“-Redakteur und jetzigen AfD-Berater Michael Klonovsky zwei Stunden lang über die Einäugigkeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und dessen Verhältnis zu Andersdenkenden diskutiert. Was für eine Runde! Klonovsky resümierte, aus dem Gespräch mit einem „ambivalenten Gefühl“ zu gehen. Eine Bewertung, der ich mich als Zuschauer gerne anschließe.

Zunächst zum Positiven. Und das ist vorneweg, wie von Krah auch bemerkt, schlicht die Tatsache, dass dieses Gespräch stattfinden konnte – und ungestört und auf hohem Niveau geführt wurde. Hut ab vor allen Beteiligten dafür! Und auch, wie ebenfalls von Krah herausgestellt, für den Mut, den damit Gniffke und Frey bei ihrem „Auswärtsspiel“ bewiesen. Mut vor allem auch gegenüber dem breiten Unverständnis für diese Aktion zu Hause, weit weg im Westen, in den eigenen geschlossenen Reihen, doch dazu später mehr.

Deutschland ist wie alle westlichen Gesellschaften zutiefst gespalten und polarisiert, und da ist es immer gut, wenn über den in den letzten Jahren nur immer noch tiefer gewordenen Graben, über die zunehmenden und immer gehässigeren Feindbilder hinweg, zwischen „Lügenpresse“ und „Rechtspopulisten“ das Gespräch gesucht und geführt wird. Die einen fühlen sich nicht ausreichend in Politik und Medien repräsentiert und sehen die größtmögliche konkrete Drangsal in der „ungesteuerten Migration“ und ihren Folgen. Die anderen fürchten um ihre Macht- und Monopolstellung und erkennen entsprechende Weltuntergangs-Gefahren ausschließlich „von rechts“. Ich dagegen glaube, dass die größte Bedrohung tatsächlich ein Abdriften in einen dann bereits dritten deutschen totalitären Staat ist. Und diesen Weg noch abzuwenden, dazu können Gespräche wie das in Dresden nur helfen.

Frey und vor allem Gniffke schienen tatsächlich beeindruckt und nachdenklich nach Hause zu fahren nach all der Häme und Hetze, die sie gegen die ihnen nun plötzlich einmal leibhaftig gegenübersitzenden Andersdenkenden täglich zu verantworten haben. Dies erreicht zu haben, darauf dürfen die sechs anderen Herren, die jeweils zwei Gastgeber, Mitdiskutanten und Moderatoren, wirklich stolz sein. Gratulation!

Und doch bleibt am Ende ein ambivalentes Gefühl nicht nur bei Michael Klonovsky. Er war es auch, der auf eine entsprechende Publikumsfrage hin als Einziger auf das Wesen des zwangsbezahlten Staatsfunks hinwies. Immerhin ist an genau dieser Stelle die AfD-Position so eindeutig, so radikal und tatsächlich einmal so „systemkritisch“ wie in kaum einem anderen Bereich. Die Partei will nämlich laut ihrem Grundsatzprogramm die Zwangsgebühren abschaffen und die öffentlich-rechtlichen Sender zu von Publikum und Werbetreibenden freiwillig finanzierten Marktakteuren wie alle anderen Medienanbieter auch umgestalten.

Zugegeben: Dieser AfD-Programmpunkt war ein Betriebsunfall. Parteiführung und Parteitagsregie hatten ihn beim Programmparteitag nicht vorgesehen, die Parteijugend war unerwartet vorgeprescht, und nun steht es so auf dem Papier. Nur war von dieser Forderung in Dresden nichts zu hören, nichts zu sehen und nichts zu spüren.

Im Gegenteil, die Verbesserungsvorschläge für ARD und ZDF wurden sehr konkret vorgetragen. Erstens zum Beispiel, neben dem bekannten Antifa-nahen ARD-„Faktenfinder“ Patrick Gensing zum Ausgleich doch bitte noch einen konservativen zweiten Redakteur einzustellen. Da lachte Gniffke bedauernd, dazu habe er keinen Etat. Ob die AfD ihm hier bald mit der Forderung nach noch mehr Zwangsgebühren unter die Arme greift, anstatt jegliche „Faktenfinder“ von solch zweifelhafter Funktion faktisch zu befreien? Oder zweitens, bitte Dieter Stein von der „Jungen Freiheit“ auch einmal in den „Presseclub“ einzuladen! Oder, drittens, gleich Michael Klonovsky auf die Talkshow-Couch! Oder, viertens, Götz Kubitschek eine eigene Sendung geben! Aus der AfD-Programmforderung nach Entstaatlichung der Medien wurde so in Dresden der breite Ruf nach Mitbeteiligung an der Ausbeutung der Zwangsgebührenzahler.

Und das ist leider, wie ich meine, kein Versehen wie das Parteiprogramm, das sich sicher bald auch entsprechend ändern lässt. Es ist vielmehr neben der gängigen Mentalität deutscher Kulturkonservativer, die auf der Zwangssubventionierung ihrer Oper immer bestanden haben, schlicht auch die Konsequenz des politischen Wegs der meisten der beteiligten Herren, die aus früher zwei Staatsprofiteuren gegen sechs Nettosteuerzahler bald sicher schon mindestens sechs oder sieben Staatsprofiteure gemacht haben wird. Klar, dass man sich da so uneinig gar nicht mehr war.

Alle Beteiligten nämlich mahnten in Dresden eine vermeintliche „Objektivität“, eine „Neutralität“ und eine „möglichst genaue Abbildung der Realität“ in den Medien an. Dieses gemeinsame Ziel der gesamten Runde aber, so sehr man vereinzelt die Umsetzung beim anderen auch vermisste, ist an sich eine Fiktion. Objektivität ist eine religiöse Kategorie. Objektive Wahrheit gibt es nur in Gott (oder in den Augen anderer in einer Ersatzreligion). Das Bodenpersonal aber, wir Menschen, wir sehen, denken und werten immer subjektiv. Auch Neutralität ist deshalb eine Utopie. Jeder Mensch ergreift Partei, immer und überall. Da hilft auch nicht die populäre Forderung, doch wenigstens Nachricht und Kommentar streng zu trennen, denn auch die reine Nachricht kann überhaupt nie „neutral“ verfasst sein, schon in der Überschrift nicht. Einzelne Aspekte werden immer ausgewählt, mehr oder weniger beachtet, bewusst oder unbewusst. So enthält jede „Nachricht“ auch gleich ihren „Kommentar“.

Der Mechanismus, der in diesem Dilemma fehlender Neutralität und Objektivität in den Medien hilft, ist eben nicht irgendein bürokratisches Kontrollgremium oder eine Besetzung nach Proporz auf Kosten von Zwangszahlern. Vielmehr hülfe hier das Konkurrenzprinzip, der freie Markt der Medien, die Freiwilligkeit der Zahlung, das unternehmerische Risiko der Eigentümer, die uns ein breites Medienangebot ermöglichen, in dem viele verschiedene Sichtweisen aufeinanderprallen und somit von Lesern, Hörern und Zuschauern ausgewählt und abgewogen werden können.

Insofern sind neue alternative Monatsmagazine wie „Cato“ vom Dresdner Moderator Andreas Lombard als weiteres Angebot mit ganz eigener Sichtweise in der breiten Palette der Zeitschriften sehr zu begrüßen. Und die mit Abstand interessanteste deutschsprachige Fernsehtalkshow – „Talk im Hangar-7“ – findet ohnehin seit Jahren im privaten Servus-TV statt. Solcherlei Angebote sollten nicht weiter durch Milliarden-Zwangsgebühren für die Konkurrenz kleingehalten werden, und schon gar nicht brauchen wir noch ein „Cato“-Fernsehmagazin im Rahmen von ARD oder ZDF obenauf.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht in der Zuschauergunst längst ziemlich nackig dar. Während in Dresden die AfD-nahen Diskutanten mehr „Neutralität“ in der „Tagesschau“ anmahnen, wird diese allenfalls noch von den heute bereits über 75-Jährigen und SPD-Wählern regelmäßig angeschaut – beides mehr und mehr vernachlässigbare Größen. Und während Moderator Lombard sich als einer der letzten verbliebenen „Tatort“-Zuschauer outet und Kommissare in normalen Familienverhältnissen anmahnt, schauen andere unter 75-jährige Nicht-SPD-Wähler fast durchweg nur noch bessere, spannendere, weniger belehrende Serien bei Amazon Prime, Netflix oder Sky. Und zahlen freiwillig gerne dafür.

Insofern stehen Gniffke und Frey mit dem Rücken zur Wand und wissen das selbst offenbar besser als ihre Mitdiskutanten. Der ARD- und der ZDF-Mann waren nach Dresden gekommen, weil die Mehrheitsverhältnisse es dort – und bislang nur dort – inzwischen auch aus anderen Gründen erforderlich machen. Im Westen glauben immer noch 85 Prozent der Menschen den Mainstreammedien und wählen Altparteien. Da muss man (noch) keine Runden Tische und womöglich Beteiligung anbieten. In Sachsen aber steht es eher fifty-fifty im Kulturkampf, wie in Amerika. 50 Prozent oder mehr, die Zwangsgebührenzahlung an einen Staatssender ablehnen, den sie eher als Feind denn als Freund betrachten – in dieser Lage wird es ungemütlich für die Zwangsgebührenfunker.

Deshalb ihr Gang nach Dresden. Deshalb auch werden die dort gehörten Forderungen mittelfristig eher erfüllt als nicht erfüllt. Vielleicht nicht gleich Kubitschek mit einer eigenen ARD-Talkshow, aber doch wenigstens Stein im „Presseclub“. Und Klonovsky ist eh zu gut, als dass sich das ZDF ihm dauerhaft wird verweigern können. Wetten, dass?

Insofern konnten auch Gniffke und Frey in Sachsen perspektivisch nur gewinnen, und sie haben an Verständnis und Achtung tatsächlich Pluspunkte geholt. Das aber ist kein Sieg, sondern eine Niederlage für alle, die einfach nur in Ruhe gelassen werden wollen vom ständigen ungebetenen Griff in die eigene Tasche.

André F. Lichtschlag ist Chefredakteur und Herausgeber der Zeitschrift „eigentümlich frei“.
Quelle: eigentümlich frei, Nr. 188, Dezember 2018. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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